KI in der Steuerkanzlei – wohin geht die Reise?
Wir sprechen mit Taxpunk-Gründer und ChatGPT-Experte Stefan Groß über den Einsatz künstlicher Intelligenz für Steuerberater:innen
Inhaltsverzeichnis
Steuerberater und KI-Experte Stefan Groß von Taxpunk ist nicht nur für den legendären Leitfadens für ChatGPT bekannt, er ist auch Chefredakteur der Fachzeitschrift REthinking: Tax und diesmal unser Gesprächspartner zum Thema Chat GPT und KI in der Steuerkanzlei.
Wir sprachen mit Stefan für lex’talk about tax, den Lexware Office Podcast zur Zukunftskanzlei. Die ganze Folge finden Sie hier
Stefan Groß
Steuerberater und Taxpunk Gründer
„Mein Name ist Stefan Groß. Ich bin Steuerberater und US-amerikanischer IT Systemprüfer und mein Herz schlägt fachlich an der Schnittstelle zwischen Steuerrecht und Informationstechnologie. Dazu bin ich Managing Partner hier bei Peters, Schönberger und Partner – wir sind eine typisch interdisziplinäre Kanzlei, bestehend aus Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern, Rechtsanwälten und einem Family Office.
Mit Tax Technologie beschäftige ich mich schon seit über 20 Jahren – obwohl es das Thema noch gar nicht so lange gibt. Damals erschienen die GdPDU, die Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen. Das war für mich die Initialzündung der Erkenntnis, dass Steuerrecht auf der einen Seite und Informationstechnologie auf der anderen Seite zwingend zusammengehören, wenn man ganzheitliche Lösungen machen will. Das hat sich entwickelt über die Jahre. Heute sind wir über ganz anderen Themen, bei Technologie Themen und auch bei einem ganz spannenden Thema: Dem Einsatz von KI im Steuerbereich.“
“Die Welt der KI änderte sich grundlegend im Dezember 2022“
Carola Heine: Lieber Stefan, alle haben von ChatGPT gehört, aber nicht alle haben es verstanden. Worum geht es?
Stefan Groß: ChatGPT ist vereinfacht gesagt ein Bot, ein Chatbot, mit dem ich in Interaktionen treten kann, mit dem ich natürlichsprachlich kommunizieren kann und auch natürlichsprachliche Antworten erhalte. Vielleicht mal zur Einordnung: Hinter ChatGPT steht als Technologie NLP und das wiederum steht für Natural Language Processing. Man könnte auch sagen, das ist so eine Art Vermessung unserer Sprache. Vereinfacht gesagt ist das eine Technologie, die den wahrscheinlichsten Text, die wahrscheinlichste Antwort auf eine natürlich sprachliche Anfrage ausgibt – dieses NLP kennen wir seit vielen Jahren.
Das ist also nichts Neues. Allerdings hat sich für mich im Dezember 2022 die Welt grundlegend verändert, was KI und vor allem auch KI im Steuerbereich angeht. Denn da kamen über LinkedIn die ersten Meldungen zu ChatGPT und die Ergebnisse haben mich doch ziemlich beeindruckt.
Warum? Weil auf einmal eine Lösung am Markt war, die derart perfekte Antworten gibt. Beim Thema Steuerrecht muss man das noch etwas einschränken. Aber für normale Anfragen gibt ChatGPT perfekte Antworten auch grammatikalisch korrekt in verschiedenen Sprachen. Fast so, als wenn man sich nicht mit einer Maschine, sondern mit einem Menschen unterhält in einem Chat – und das war neu. Das zweite, was neu war: Ich kann nicht nur bestimmte Antworten ausgeben, sondern man kann mit ChatGPT in Interaktion treten und der Maschine – vereinfacht gesagt – genau angeben, was man möchte und auch sagen, was man nicht möchte. So kann man Ergebnisse verbessern und trimmen und so weiter.
Diese Interaktion mit diesen wirklich sehr guten Antworten, die man dann erhält – das ist wirklich neu. Das gab es bisher so nicht und das war schon ein ziemlicher Schritt. Ich persönlich hätte vermutet, dass wir solche Systeme vielleicht mal in zwei, drei Jahren sehen werden. Es hat viele überrascht, dass es sie jetzt schon gibt.
“Ist es berechtigt, dass KI vielen Menschen Angst macht?“
Carola Heine: Hast du das Gefühl, dass KI vielen Menschen Angst macht? Und hältst du das für berechtigt?
Stefan Groß: Es ist Fakt, dass KI vielen Menschen Angst macht und das kann man auch verstehen: Muss man sich Gedanken machen um unsere Berufswelt oder nicht? Es gibt zum Beispiel eine relativ aktuelle Studie, die in den USA im März 2023 durchgeführt wurde, zu den Auswirkungen von ChatGPT auf den US-Arbeitsmarkt. Die lässt schon aufhorchen, denn das Ergebnis ist, dass die Studie sagt, bei 80 Prozent der Arbeitskräfte sind 10 Prozent der Aufgaben betroffen, die ChatGPT übernehmen könnte.
Jetzt könnte man sagen „Gut, 10 Prozent ist nicht viel. Ich bin froh, wenn es überhaupt mal jemanden gibt bei der jetzigen Personalsituation, die 10 Prozent meiner Tätigkeit übernimmt.“ Allerdings sind bei 20 Prozent der Arbeitskräfte bereits 50 Prozent der Aufgaben betroffen und das betrifft insbesondere Arbeitskräfte mit höherem Einkommen, sogenannte Wissensarbeiter. Im dem Bereich werden wir eine Veränderung erleben. Jetzt muss man dazu sagen: Die Studie sagt nicht, inwiefern sie betroffen sind.
Das ist das gleiche Problem wie mit den anderen Studien, die wir heute haben: Die sagen, bis zum Jahr 2028 können bis zu 60 Prozent unserer Tätigkeiten automatisiert werden. Das lässt erst mal so ein bisschen aufhorchen und macht, wie du sagst, vielleicht Angst.
Aber was all diese Studien nicht sagen und das ist eigentlich Spannende, ist, dass ja im gleichen Atemzug neue Tätigkeiten entstehen, die wir heute gar nicht haben. Das heißt, wir werden eine Veränderung haben in dem, was wir tun. Wenn wir jetzt noch mal in Richtung Steuerberatung denken, dort wird es dann andere Tätigkeiten geben.
Es wird Tätigkeiten geben, die dann die Maschine übernimmt: Standardtätigkeiten, repetitive Tätigkeiten, vielleicht auch Texte erstellen.
Aber es werden auch neue, spannende Tätigkeiten – vielleicht sehr viel kreativere Tätigkeiten – entstehen, für die wir heute alle keine Zeit haben. Insofern müssen wir uns, so denke ich mal, überhaupt keine Sorgen machen.
„Die Arbeitswelt, unsere Arbeitsinhalte, die Tätigkeit an sich werden sich verändern. Was wir dafür brauchen, sind Neugier und lebenslanges Lernen – die sind an dieser Stelle essenziell.“
Carola Heine: Was kann denn ChatGPT derzeit alles für Steuerberater und Steuerberaterinnen tun?
Stefan Groß: Im Hinblick auf den Steuerbereich muss man zwei Szenarien unterscheiden. Die eine Frage ist, wie kann mich ChatGPT – oder ähnliche Tools, es gibt ja nicht nur ChatGPT – wie kann mich so eine Anwendung in der täglichen Arbeit unterstützen? Und die zweite Frage ist: wie kann sie mich fachlich unterstützen?
Warum treffe ich diese Unterscheidung? Die ist wichtig, denn zum einen werde ich meistens vom Ergebnis enttäuscht sein, wenn ich eine konkrete steuerliche Frage in ChatGPT eingebe. Der Grund liegt darin, dass das Sprachmodell dahinter noch nicht mit Steuerliteratur und schon gar nicht mit deutscher Steuerfachliteratur trainiert wurde. Wenn ein Sprachmodell nicht mit bestimmten Inhalten trainiert wurde, kann es keine Antwort geben.
Zum anderen haben wir da auch noch das Thema Vertraulichkeit und Datenschutz. Aktuell ist es bei ChatGPT noch so, dass man nur davon abraten kann, vertrauliche Themen oder den Datenschutz unterliegende personenbezogene Daten in das System einzugeben – weil eben die Datenschutzbestimmungen noch nicht so ausgestaltet sind, wie sie ausgestaltet sein müssen. Da wird ChatGPT aber nachziehen. Jenseits dessen kann man ChatGPT heute im Berufsalltag schon sehr gut nutzen.
Zum Beispiel für die Erstellung von Kurzbeiträgen oder Kurzinformationen. Allerdings liefert ChatGPT nicht fertige Beiträge, die ich dann per Copy/Paste irgendwo reinnehme. ChatGPT ist momentan ein reines Vorschlagssystem. Das heißt, es schlägt mir Texte vor und ich kann mir dann überlegen: sind die Texte gut? Möchte ich sie noch ein bisschen schleifen? Möchte ich sie verändern? Ich muss vor allem auch schauen, wenn ich Fakten drin habe: sind die Texte korrekt? Also immer das Vier-Augen-Prinzip, dann können sich daraus schon mal sehr gute Vorschläge ergeben. Das zweite, für was ich es ganz gerne nutze (natürlich auch für nicht vertrauliche Informationen) sind Exzerpte oder Zusammenfassungen. Super Tipp: ich habe einen längeren Text und dann möchte ich schnell eine Zusammenfassung schreiben. Das macht ja so richtig gerne keiner von uns. Das funktioniert mit ChatGPT sehr gut.
Noch ein weiteres schönes Thema ist die Erstellung von Schulungsmaterialien. Dann kann man zum Beispiel auch eingeben: „Erstelle mir Überschriften zu acht Folien für einen Vortrag im Bereich Grundzüge der Umsatzsteuer“. Einfach mal ausprobieren – funktioniert schon super. Es liefert eine gewisse Grundkonzeption. Für Dinge wie „schnell mal einen Text erstellen, Brainstorming mit dem Bot, Vortragsmaterialien, Schulungsmaterialien, Zusammenfassungen“ kann man es heute schon zeitsparend einsetzen. Diese Zeit nehme ich mir dann für andere Dinge, die mir wichtig sind und zu denen ich vielleicht heute nicht komme.
Carola Heine: Es ist wirklich faszinierend, was alles schon geht. Man könnte man das Tool nicht auch einfach mal ein paar konkrete Vorschläge für die Vereinfachung des Steuerrechts machen lassen, dass das Ding einfach mal alles überarbeitet, was so im Gebälk noch knirscht seit viel zu vielen Jahren. Das wäre doch vielleicht auch mal eine Aufgabe, wenn die Infos alle vorhanden sind, oder?
Stefan Groß: Das wäre eine Aufgabe, aber das wird noch ein bisschen dauern. Momentan ist es so, dass die Maschine darauf getrimmt ist, dass sie Inhalte zusammenstellt, perfekt aufbereitet, dann sozusagen noch mal so ein bisschen Richtung Subsummieren zu gehen. Da würde ich behaupten, das bleibt noch eine gewisse Zeit die Vorbehaltsaufgabe des Menschen.
“Wie wird KI die Steuerkanzleien weiter verändern?“
Carola Heine: Deine Einschätzung als Experte bitte: wie wird künstliche Intelligenz Steuerkanzleien weiter verändern?
Stefan Groß: Dazu gibt es unterschiedliche Szenarien. Kommen wir noch einmal zu diesem Thema Angst zurück. Ich bin der festen Auffassung, dass es noch nie so spannend war, Steuerberater oder Steuerberaterin zu werden wie heute. Daran wird die KI auch nichts ändern. Ganz im Gegenteil.
Die KI wird es sogar noch befördern und der Beruf des Steuerberaters, der Steuerberaterin wird erhalten bleiben, der wird nicht durch die KI ersetzt. Warum bin ich der Meinung? Und da kommen wir dann zur Veränderung in den Kanzleien: Wir haben heute alle ein großes Thema in den Kanzleien, nämlich knappe Personalressourcen. Und diese knappen Personalressourcen führen dazu, dass wir so ein bisschen im digitalen Hamsterrad sind und eigentlich Beratung und viele Dinge gar nicht mehr machen können, weil die Zeit fehlt.
Insofern muss man eigentlich KI an der Stelle als Handreichung wahrnehmen für den Berufsstand, die diese Personalressourcen ausgleicht, die sagen wir mal die einfachen Recherchetätigkeiten sehr gut übernehmen kann und uns dadurch Zeit gibt fürs Wesentliche, nämlich Beratung. Das ist das eine. Das zweite: wir sprechen immer noch von einer Maschine, auch wenn die noch so gut ist und wenn die menschenähnliche Antworten gibt. Aber was wir von ChatGPT bekommen und das ist die Technologie, sind ja die wahrscheinlichsten Texte.
Das heißt, die Maschine erfasst meinen fachlichen Kontext, den ich anfrage und er gibt mir bezogen auf diesen fachlichen Kontext die wahrscheinlichste Antwort. Das war es. Mehr ist es nicht. Da klingt erst mal einfach. Das war hochkomplex, aber das ist es. Das bedeutet aber, dass alles, was ein Berater dann ausmacht, Empathie, Interessensabwägungen, Interpretationsspielräume herausarbeiten, subsumieren und so weiter – das bleibt Vorbehaltsaufgabe des Menschen, ganz klar.
Dann sollten wir aber künftig – und jetzt bin ich beim ganz wichtigen Thema Ausbildung – auch diese Dinge betonen. Wir betonen heute sehr oft und stark nur die fachliche Ausbildung. Wir müssen auch fachlich weiter ausbilden, wir brauchen fachlich exzellente Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen weiterhin. Daran wird sich nichts ändern. Aber wir sollten im KI-Zeitalter unbedingt auch die Dinge betonen in der Ausbildung, die den Menschen ausmachen. Das sind die Softskills und die Digital Skills. Die müssen wir schulen.
Dann werden wir aus meiner Sicht eine wunderbare Symbiose hinbekommen aus Mensch und Maschine, die sich gegenseitig ergänzen, aber nicht ersetzen werden. Und wenn die Maschine dann bestimmte Dinge übernimmt, Standardtätigkeiten, dann bin ich froh, weil ich mich dann anderen Themen widmen kann, für die ich heute keine Zeit habe.
Die Zukunft ist also gesichert, aber es werden sich Veränderungen ergeben.
Carola Heine: Vielen Dank für deine Zeit und den wertvollen Input. Dieses Interview gibt es in voller Länge als Podcast-Folge von lex’talk about tax
KI und ChatGPT in der Steuerkanzlei
Zu Gast bei lex‘ talk about tax: Stefan Groß von Taxpunk
Carola Heine und Olaf Clüver sprachen mit Steuerexperte Stefan Groß über die Veränderungen, die KI und ChatGPT mit sich bringen und was das für die Steuerbranche bedeutet.
Das komplette Interview können Sie über YouTube oder überall, wo es Podcasts gibt anhören. Abonnieren Sie am besten gleich lex’talk about tax und verpassen Sie keine Episode mehr.