Inventur
Inhaltsverzeichnis
Was ist eine Inventur?
Definition Inventur
Als Kaufmann müssen Sie bei bestimmten Anlässen ein Bestandsverzeichnis erstellen, indem alle Vermögensgegenstände sowie Schulden Ihres Unternehmens erfasst sind. Solche Anlässe sind:
- Wenn Sie ein Unternehmen gründen oder ein solches von einem Kaufmann übernehmen.
- Am Ende eines jeden Geschäftsjahres.
- Wenn Sie ein Unternehmen verkaufen oder auflösen.
Unterschied Inventar und Inventur
Das Bestandsverzeichnis selbst bezeichnet man als Inventar. Der Vorgang währenddessen die Vermögensgegenstände und Schulden aufgeführt werden, nennt sich Inventur. Die Inventur ist sowohl handelsrechtlich als auch steuerrechtlich vorgeschrieben. Erfolgt keine Inventur oder ist diese nicht ordnungsgemäß, kann das ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen. Bei wirtschaftlich schlechter Lage, können beispielsweise Kreditinstitute zusätzliche Inventuren von Ihnen verlangen.
Wer ist zur Inventur verpflichtet?
Zur Aufstellung eines Inventars ist grundsätzlich jeder Kaufmann gemäß § 240 HGB verpflichtet – zusätzlich zur Bilanz und der Gewinn– und Verlustrechnung.
Nicht verpflichtet sind gemäß § 241a HGB
- Kaufleute, die innerhalb von 2 Wirtschaftsjahren an den Stichtagen einen Umsatz von unter 600.000 € sowie einen Jahresüberschuss von unter 60.000 € erzielt haben.
- Kaufleute, welche diese Größenkriterien bereits mit dem ersten Stichtag einhalten, wenn Sie ein Unternehmen neu gegründet haben.
Durchführung der Inventur
Bei der Inventur unterscheidet man zwischen drei verschiedenen Arten
Körperliche Inventur
Bei der körperlichen Inventur werden die Vermögensgegenstände aufgenommen, die durch Wiegen, Messen oder Zählen erfasst werden können. Wenn eine genaue Erfassung nicht möglich oder wirtschaftlich nicht vertretbar ist (z.B. bei Sandvorräten), ist eine Schätzung mit anschließender Bewertung zulässig.
Buchinventur
Im Rahmen der Buchinventur werden immaterielle Vermögensgegenstände und Schulden erfasst. Dazu gehören zum Beispiel Bankguthaben und Verbindlichkeiten.
Anlageninventur
Die Anlageninventur ist Teil der Anlagenbuchhaltung und dient als Ersatz für die körperliche Inventur des beweglichen Anlagevermögens. Dazu gehören Vermögensgegenstände wie Maschinen, Firmenwagen und Büroausstattung.
Bei der Anlageninventur wird ein Anlagenverzeichnis erstellt, das für jedes Anlagegut eine Anlagenkarteikarte mit Informationen wie dem Bilanzwert zum Bilanzstichtag, dem Herstellungs- oder Anschaffungsdatum, der genauen Bezeichnung des Gutes, den Anschaffungs- oder Herstellungskosten, der jährlichen Abschreibung, der Nutzungsdauer und dem Abgangsdatum enthält.
Grundsätze der Inventur
Damit Ihre Inventur als rechtmäßig anerkannt wird, sind verschiedene Grundsätze zu beachten:
- Grundsatz der Vollständigkeit: Es müssen ALLE Vermögensgegenstände und Schulden lückenlos und fehlerfrei erfasst werden.
- Keine Doppelzählungen: Alle Güter sind einzeln zu erfassen.
- Richtigkeitsgebot: Die angewandten Methoden zur Inventur müssen korrekt durchgeführt werden. Alle Güter sind nach ihrer Art, Menge sowie ihrem Wert korrekt anzugeben.
- Nachprüfbarkeit der angegebenen Daten: Schließlich muss das Inventar so aufgestellt werden, dass es von einem sachverständigen Dritten in angemessener Zeit nachvollzogen werden kann. Deshalb müssen Mengenangaben vorhanden sein, die gewählten Bezeichnungen nachvollziehbar sein, das Inventar unterschrieben und nebst Inventurunterlagen 10 Jahre lang aufbewahrt werden.
Inventurarten
Die Inventur kann zu verschiedenen Zeitpunkten und nach verschiedenen Methoden durchgeführt werden, da eine Inventur zum üblichen Geschäftsjahresende am 31. Dezember oft nicht praktikabel ist. Der Unternehmer ist in der Wahl der Inventurzeitpunkte und -methoden frei. Es ist auch möglich, verschiedene Methoden für verschiedene Gruppen von Wirtschaftsgütern anzuwenden und die Inventurmethoden zu kombinieren. Der Unternehmer ist nicht verpflichtet, eine einmal gewählte Inventurmethode beizubehalten.
Praxis-Tipp
Wechsel von Inventurmethoden
Ohne entsprechende Gründe sollten die Inventurmethoden jedoch wegen der erforderlichen organisatorischen Maßnahmen nicht gewechselt werden. Außerdem sollten abgegrenzte Lagerbereiche stets einheitlich anhand einer Methode inventarisiert werden; dies erleichtert auch die Bestandsfortschreibung.
Abb. 1: Arten der Inventur
Stichtagsinventur
Bei der Stichtagsinventur handelt es sich um eine körperliche Bestandsaufnahme, die i. d. R. binnen 10 Tagen vor oder nach dem Bilanzstichtag durchgeführt wird.
Bei einer Stichtagsinventur werden die Wirtschaftsgüter durch Zählen, Messen und Wiegen entweder lückenlos oder in Form von Stichproben erfasst. Dabei sollten mit Blick auf die bilanzielle Bewertung Feststellungen zur jeweiligen Marktgängigkeit von Waren bzw. Fertigerzeugnissen und zum Fertigungsgrad von unfertigen Erzeugnissen getroffen werden.
Vor- oder nachverlegte Inventur
Eine zeitverschobene bzw. vor- oder nachverlegte Inventur kann nach § 241 Abs. 3 HGB bis zu 3 Monate vor oder 2 Monate nach dem Bilanzstichtag stattfinden. In diesem Fall ist ein besonderes Inventar aufzustellen. Der sich danach ergebende Bestand ist auf den Tag der Bestandsaufnahme nach allgemeinen Grundsätzen zu bewerten. Es ergibt sich dann ein Gesamtwert, der auf den Bilanzstichtag fortzuschreiben oder zurückzurechnen ist; eine mengenmäßige Fortentwicklung des Bestands ist dagegen nicht erforderlich.
Permanente Inventur
Die permanente Inventur ermöglicht die laufende Erfassung und Aktualisierung der Lagerbestände in der Lagerbuchhaltung. Die Bestände werden regelmäßig überprüft und gegebenenfalls korrigiert. Damit entfällt die Notwendigkeit einer körperlichen Bestandsaufnahme zum Bilanzstichtag für alle Positionen des Vorratsvermögens.
Die Bewertung der Vorräte kann entweder sofort im Rahmen der permanenten Inventur oder zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.
Damit die Ergebnisse der permanenten Inventur auch steuerlich anerkannt werden, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu gehören die lückenlose Dokumentation der Bestände und Geschäftsvorfälle in den Lagerbüchern, mindestens eine körperliche Bestandsaufnahme pro Geschäftsjahr sowie die ordnungsgemäße Dokumentation und Unterzeichnung der Inventurergebnisse.
Stichprobeninventur
Nach § 241 Abs. 1 HGB darf der Bestand der Vermögensgegenstände nach Art, Menge und Wert auch mithilfe anerkannter mathematisch-statistischer Methoden aufgrund von Stichproben ermittelt werden. Das bedeutet, dass nicht der gesamte Bestand körperlich erfasst wird, sondern nur ein Teil davon, und von diesem Teil auf den Gesamtbestand geschlossen wird.
Checkliste für den Einsatz von Inventurverfahren
Da die Inventurverfahren für einzelne Gruppen von Wirtschaftsgütern nach Zweckmäßigkeitserwägungen ausgewählt und kombiniert werden können, zeigt folgende Checkliste für einzelne Gruppen besonders geeignete Verfahren bzw. Vorgehensweisen.
Gegenstand | Inventurverfahren |
Immaterielle Vermögensgegenstände | exakte buchmäßige Stichtagsinventur |
Sachanlagen | permanente Inventur mit Anlagenkartei |
Werkzeuge | Inventurvereinfachung mit Festwert |
Finanzanlagen | Buchinventur anhand von Verträgen, Konto- und Depotauszügen |
Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe | zeitlich vorverlegte körperliche Stichtagsinventur |
Waren | zeitlich nachverlegte Inventur mit Stichprobenverfahren |
Forderungen | exakte stichtagsbezogene Buchinventur, gegebenenfalls unter Einholung von Saldenbestätigungen |
Zahlungsmittel | exakte körperliche Stichtagsinventur |
Rückstellungen | buchmäßig erweiterte Stichtagsinventur |
Verbindlichkeiten | ausgeweitete stichtagsbezogene Buchinventur, gegebenenfalls unter Einholung von Saldenbestätigungen |
Inventurplanung und -durchführung
Vorbereitung
Die Inventur erfordert organisatorische Maßnahmen, die mit der Größe des Unternehmens zunehmen. Zu den Maßnahmen im Vorfeld gehören die Benennung eines Inventurleiters, die Motivation der Mitarbeiter, die Festlegung des Termins und der Dauer, die Zuweisung von Lagerorten und Aufnahmebereichen sowie die Festlegung der Inventurverfahren. Externe Begleitpersonen können ebenfalls benannt werden.
Eine Erleichterung der Inventur ist möglich, wenn die Bestände vorher übersichtlich geordnet, gekennzeichnet und ggf. sortiert werden. Nicht mehr benötigte Bestände können vorher gekennzeichnet oder vernichtet werden. Bestände von Fremdfirmen oder zur Reparatur vorgehaltene Gegenstände sollten gesondert geführt werden. Gleiches gilt für bereits fakturierte und zur Abholung bereitgestellte Gegenstände, bei denen das wirtschaftliche Eigentum bereits übergegangen ist.
Inventurdurchführung
Bei der Übergabe der Inventurlisten sind den Mitarbeitern klare Anweisungen zu geben. Diese umfassen die Zuständigkeit für bestimmte Lagerorte gemäß den nummerierten Inventurlisten, die korrekte Erfassung der Bestände, das Ausfüllen der Inventurlisten, die Erfassung der Maßeinheiten, die Kennzeichnung von Fremdmaterial, die Korrektur fehlerhafter Eintragungen, das Vorgehen bei nicht erfassten Beständen, die Kennzeichnung der erfassten Lagerorte und die Abgabe der ausgefüllten Listen.
Um eine korrekte Bestandsaufnahme zu gewährleisten, sind bei der körperlichen Bestandsaufnahme bestimmte Kriterien zu beachten.
Dazu gehören:
- die Aufnahme der Bestände in örtlicher Reihenfolge,
- die Kennzeichnung der aufgenommenen Bestände,
- die Vermeidung von Materialbewegungen während der Aufnahme,
- die besondere Kennzeichnung nicht gängiger und unvollständiger Bestände,
- die Erfassung des Fertigstellungsgrades bei unfertigen Erzeugnissen,
- die getrennte Erfassung von Fremdmaterial und
- die Ergänzung der Bestandsaufnahme durch Versandnachweise bei unterwegs befindlicher Ware.
Die Periodenabgrenzung erfolgt durch den Ausweis von Beständen, die dem Unternehmen am Bilanzstichtag wirtschaftlich nicht zuzurechnen sind.
Die Inventarlisten sollten fortlaufend nummeriert werden, um Verlust oder Manipulation zu vermeiden. Es ist wichtig, die Gesamtzahl der ausgegebenen und nicht verwendeten Inventurlisten zu dokumentieren und festzuhalten, welche Aufnahmeteams welche Listen erhalten haben.
Inventurabschluss
Der ordnungsgemäße Abschluss der Inventur umfasst
- einen Rundgang durch die Aufnahmebereiche und eine Prüfung anhand der Kennzeichnungen der Lagerorte, um sicherzustellen, dass alle Vorräte erfasst wurden;
- die Prüfung der lückenlosen Rückgabe aller Aufnahmelisten an den Inventurleiter;
- eine Prüfung von Abweichungen zwischen den per Inventur ermittelten Beständen und den Beständen laut Lagerbuchhaltung oder Warenwirtschaftssystem;
- die Übernahme der erfassten Bestände in ein Inventar unter Trennung zumindest in Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, unfertige Erzeugnisse, fertige Erzeugnisse.
Inventurnachbereitung
Wird die Inventur nicht zum Geschäftsjahresende durchgeführt, ist es erforderlich, Bestandsveränderungen zwischen dem Inventurstichtag und dem Geschäftsjahresende durch gesonderte Aufzeichnungen zu erfassen.
Bewertungsverfahren
Die in das Inventar aufgenommenen Vermögensgegenstände sind zum Bilanzstichtag zu bewerten. Sowohl nach handels- als auch nach steuerrechtlichen Vorschriften gilt der Grundsatz der Einzelbewertung.
Es ist darauf zu achten, dass die in der Inventur ausgewiesenen Werte bei der Übernahme in die Bilanz mit den handels- und steuerrechtlichen Vorschriften übereinstimmen und gegebenenfalls korrigiert werden. Beispielsweise wird ein Niederstwertabgleich in der Regel erst bei der Bilanzaufstellung und nicht im Inventar durchgeführt. Allfällige Korrekturen sind jedoch zu dokumentieren.
Einzelbewertung
Nach dem Grundsatz der Einzelbewertung werden die Vermögensgegenstände mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten und die Schulden mit dem Nennwert angesetzt. Dabei sind bereits die Ergebnisse der Inventur hinsichtlich Fertigstellungsgrad, Gängigkeit, Minderqualität oder Verschrottung zu berücksichtigen.
Gruppenbewertung
Gleichartige Gegenstände des Vorratsvermögens sowie andere gleichartige oder annähernd gleichwertige Gegenstände des Umlauf- bzw. beweglichen Anlagevermögens und Verbindlichkeiten dürfen zu einer Gruppe zusammengefasst und mit dem gewogenen arithmetischen Mittel aus dem Wert des Anfangsbestands und aller Zugänge angesetzt werden.
Festwertansatz
Gegenstände des Sachvermögens sowie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, die regelmäßig ersetzt werden und deren Wert für das Unternehmen von untergeordneter Bedeutung ist, können in der Inventur mit gleichbleibender Menge und gleichbleibendem Wert angesetzt werden, wenn ihr Bestand nur geringfügigen Veränderungen unterliegt. Das Handelsrecht verlangt jedoch in der Regel alle 3 Jahre eine körperliche Bestandsaufnahme, während das Steuerrecht für das bewegliche Sachanlagevermögen einen Zeitraum von 3 bis 5 Jahren akzeptiert. Diesem vereinfachten Bewertungsverfahren liegt die Annahme zugrunde, dass sich die Zugänge und Abgänge bzw. der Verbrauch der betreffenden Wirtschaftsgüter ausgleichen.
Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass die Festwertbewertung für Waren, unfertige und fertige Erzeugnisse, immaterielle Vermögensgegenstände und Schulden nicht zulässig ist. Gleiches gilt für Wirtschaftsgüter, insbesondere Rohstoffe, die erheblichen Preisschwankungen, z.B. Weltmarktpreisen, unterliegen.
Das Festwertverfahren wird in der Praxis u.a. für Bestecke, Geschirr und Wäsche im Hotel- und Gaststättengewerbe angewendet.
Verbrauchs- und Veräußerungsfolgeverfahren im Rahmen der Inventur
Für die Bewertung gleichartiger Vermögensgegenstände des Vorratsvermögens gibt es zwei Verfahren: das Lifo-Verfahren (last in – first out) und das Fifo-Verfahren (first in – first out). Das Lifo-Verfahren geht davon aus, dass die zuletzt angeschafften Gegenstände zuerst verbraucht werden, während das Fifo-Verfahren davon ausgeht, dass die zuerst angeschafften Gegenstände zuerst verbraucht werden.
Rechtsfolgen fehlerhafter oder unterbliebener Inventur
Wird keine Inventur durchgeführt oder weist die Inventur erhebliche Mängel auf,
- kann der Abschlussprüfer bei prüfungspflichtigen Unternehmen den Bestätigungsvermerk einschränken oder insgesamt versagen;
- drohen im Insolvenzfall strafrechtliche Konsequenzen;
- ist die Buchführung steuerlich zu verwerfen und der Gewinn stattdessen zu schätzen,
- droht das Risiko des Vorwurfs der Steuerhinterziehung.