Prozesskostenrechnung
Inhaltsverzeichnis
Prozesskostenrechnung – Eine Definition
Im Rahmen einer Vorausplanung für Projekte oder Herstellungsprozesse erstellen Unternehmen eine Kostenkalkulation, um die anfallenden Ausgaben auf jeden Fall decken zu können. Dies ist bei fixen Gemeinkosten nicht so einfach. Damit eine Einordnung der indirekten Unternehmensbereiche in einzelne prozessbezogene Aktivitäten erfolgen kann, nutzen Firmen eine sogenannte Prozesskostenrechnung. Durch diese ist es Ihnen möglich, die prozessbezogenen Gemeinkosten auf die einzelnen Leistungen bzw. Produkte zu kalkulieren.
Alternative Bezeichnungen:
- Deutschsprachiger Raum: aktivitätsorientierte Kostenrechnung / Vorgangskostenrechnung
- Englischsprachiger Raum: Activity Based Cost Accounting, Activity Based Costing, Cost-Driver Accounting oder Transaction Costing
1.Was sind die Aufgaben einer Prozesskostenrechnung?
Seitdem das Management eines Unternehmens immer komplexer wird, sich die Bedeutung der indirekten Bereiche vergrößert hat, während sich Bedeutung der direkten Produktionskosten senkt, nimmt die Prozesskostenrechnung einen hohen Stellenwert ein. Das traditionelle Kostenrechnungssystem (kurz KR-System) ist für dieses Szenario längst nicht mehr ausreichend.
Abb. 1: KR-System
Bisher beinhaltete die traditionellen KR-Systeme folgende Rechnungen:
- Flexible Plankostenrechnung
- Grenzplankostenrechnung
- Deckungsbeitragsrechnung
Da diese Systeme (im Gegensatz zu Prozesskostenrechnungen) aber in erster Linie im Fertigungsbereich verwendet wird, ist aktuell fraglich, ob sie den neuen Anforderungen bei Planungs-, Kontroll- und Steuerungsaufgaben gerecht werden. Zu diesen Aufgaben gehören unter anderem:
- Forschung und Entwicklung
- Arbeitsvorbereitung
- Einkauf
- Konstruktion
- Vertrieb
- Software-Entwicklung
- Qualitätssicherung
- Instandhaltung
- Logistik
In diesen Bereichen liegt der Vorteil ganz klar bei der Prozesskostenrechnung, da in dieser die indirekten Bereiche nicht zu kurz kommen. Hinzu kommt die Tatsache, dass sich Fragen wie diese nicht vollständig beantworten lassen:
- Kosten einer Auftragsbearbeitung
- Kosten einer zusätzlichen Produktvariante
- Kosten der Betreuung eines Kunden
- Kosten einer Neukonstruktion
- Kosten einer Produktänderung
Bei normalen Gemeinkosten mag es prinzipiell kein Problem sein, da diese mittels einer innerbetrieblichen Leistungsverrechnung auf verschiedene Kostenstellen verteilt werden. Im indirekten Bereich ist dies jedoch nicht möglich, da hier die traditionellen Bezugsgrößen fehlen. Sie sind stattdessen von anderen Größen abhängig (z. B. Komplexität oder Variantenvielfalt).
Doch nicht nur die klassischen KR-Systeme stehen in der Kritik. Im Vergleich zur Prozesskostenrechnung schneidet die Grenzplankostenrechnung ebenfalls deutlich schlechter ab:
- Kurzfristige Auslegung
- Mangelnde Aussagekraft der Deckungsbeiträge
- Entspricht nicht der Kostenverursachung
1.1 Einsatzgebiete der Prozesskostenrechnung
Die Prozesskostenrechnung findet ihren Einsatz in erster Linie in Dienstleistungsunternehmen und Fertigungsunternehmen (indirekte Bereiche).
1.2 Besondere Zielsetzungen der Prozesskostenrechnung
Sie profitieren von folgenden Optimierungen:
- Sie vermeiden strategische Fehlentscheidungen zur Produktpolitik.
- Sie besitzen eine Kostenkontrolle der indirekten Bereiche.
- Sie erhöhen die Kostentransparenz in den indirekten Bereichen.
- Sie bauen ein strategisches Kosteninformationssystem auf.
- Sie können bessere strategische produkt- und preispolitische Entscheidungen treffen.
- Sie erreichen eine verursachungsgerechtere Verrechnung von internen Leistungen.
2. Prozesskostenrechnung: So ist der Ablauf!
Jeder Prozess ist Teil einer Kette verschiedener Aktivitäten, die letztendlich zur Erbringung einer Leistung benötigt werden. Im Rahmen dessen erfolgt der Verbrauch von Ressourcen, die Aufwendung von Arbeitszeit und auch das Einhalten vorgegebener Qualitätsmerkmale. Diese Ausrichtung ist ein existenzieller Faktor innerhalb der Prozesskostenrechnung.
Eine Prozesskostenrechnung beinhaltet zwei Formen:
- Hauptprozesse
- Teilprozesse
Ein Hauptprozess stellt eine Kette homogener Teilprozesse dar, die demselben Kosteneinflussfaktor unterliegen. Homogen sind Teilprozesse dann, wenn sie sich im Hinblick auf Struktur, Ablauf, Arbeitsaufwand und dazu notwendigen Ressourcenverbrauch nicht grundsätzlich unterscheiden. Hauptprozesse des Gemeinkostenbereichs, die zumeist kostenstellenübergreifend anfallen, fassen die Teilprozesse in verschiedenen Kostenstellen zusammen.
Abb. 2: Prozesskostenrechnung Schema
Praxis-Beispiel
Hauptprozesse
- Bearbeitung eines Kundenauftrags für das Inland
- Bearbeitung eines Kundenauftrags für das Ausland
- Beschaffung von Materialien
- Gewinnung neuer Kunden
Unter einem Teilprozess wird eine Kette homogener Aktivitäten innerhalb einer Kostenstelle zusammengefasst, die einem oder mehreren Hauptprozessen zugerechnet werden können.
Praxis-Beispiel
Teilprozesse einer Prozesskostenrechnung
Hauptprozess:
- Bearbeitung eines Kundenauftrags für das Ausland
Teilprozesse:
- Auftragseingang bearbeiten
- Fertigungsmeldung bearbeiten
- Produkt lagern
- Lieferschein erstellen
- Zollpapiere erstellen
- Spedition beauftragen
- Ware versenden
- Rechnung erstellen und versenden
Zentrale Aufgabe und Voraussetzung einer Prozesskostenrechnung stellt die Prozess- oder Aktivitätenanalyse des Unternehmens dar. Für jede Kostenstelle werden die dort ablaufenden Teilprozesse mit ihren Bearbeitungszeiten festgehalten. Die erkannten Prozesse werden bezüglich ihres Verhaltens im Hinblick auf die Veränderung des Leistungs- und damit auch Kostenvolumens der Kostenstelle untersucht.
Leistungsmengeninduzierte (lmi) Prozesse stehen in einem (annähernd) proportionalen Zusammenhang zu Leistungsvolumen und Kostenvolumen der Kostenstelle. Zeitmengenneutrale (lmn) Prozesse sind nur unmittelbar prozessabhängig und werden zur Unterstützung der leistungsmengeninduzierten Prozesse benötigt. Sie sind gekennzeichnet durch ein fehlendes Mengengerüst.
Für alle leistungsmengeninduzierten Prozesse sind nun Maßgrößen zu finden, mit deren Hilfe die Prozesse mengenmäßig quantifizierbar sind. Für leistungsmengenneutrale Prozesse wird aufgrund ihres Charakters keine Maßgröße benötigt.
Praxis-Beispiel
Kostenstelle Versand
Teilprozess | Verhalten | Zeit | Maßgröße |
---|---|---|---|
Fertigmeldung bearbeiten | lmi | 400 | Anzahl der Fertigmeldungen |
Lieferschein erstellen | lmi | 200 | Anzahl der Versendungen |
Zollpapiere erstellen | lmn | 150 | Anzahl der Auslandsversendungen |
Spediteur beauftragen | Anzahl Versendungen | ||
Ableitungen leiten | |||
1.150 |
2.1 Bezugsgrößen der Prozesskostenrechnung
Eine Maßgröße quantifiziert die Durchläufe der Teilprozesse und hat eine Doppelfunktion. Sie ist sowohl Maßstab für den Leistungsoutput als auch Messgröße für die Kostenverursachung bzw. die Ressourcenbeanspruchung je Teilprozess in der Kostenstelle. Mit ihrer Hilfe werden die Teilprozesse den Hauptprozessen zugerechnet. Der Kostentreiber (Cost Driver) hat im Prinzip die gleichen Funktionen wie die Maßgröße, jedoch werden durch ihn die Durchläufe (Anzahl) der Hauptprozesse gemessen. Er charakterisiert zusammen mit den ermittelten Hauptprozesskosten die Hauptkosteneinflussfaktoren der untersuchten Gemeinkostenbereiche.
Cost Driver und Maßgrößen einer Prozesskostenrechnung müssen folgenden Anforderungen genügen:
- Sie müssen leicht handhabbar, d. h. durch die EDV erfassbar sein;
- sie sollen eine Parallelität zwischen Kostenstellenkosten und Prozessgrößen abbilden;
- sie sollen ein Maßstab der Kostenstellenleistung sein und somit einen Beschäftigungsindikator darstellen;
- es muss eine direkte oder indirekte Beziehung zum Produkt herstellbar sein.
2.2 Ermittlung des Prozesskostensatzes
Die Ableitung von Prozesskosten kann auf der analytischen Kostenplanung der Kostenstellen aufbauen, auf Vorjahreswerten aufgesetzt werden oder aber auf Prozessebene analytisch erfolgen. Da der Aufwand einer analytischen Planung der Kosten auf Prozessebene relativ hoch ist, wird in der Praxis häufig auf nach Kostenarten differenzierte Kostenstellenpläne zurückgegriffen. Dabei werden die einzelnen Kostenarten der Kostenstellen auf die Teilprozesse der Kostenstellen umgegliedert. Dazu werden zunächst die Personalkosten entsprechend der beanspruchten Arbeitszeiten den Teilprozessen zugerechnet. Die übrigen Kostenstellenkosten werden proportional zum Personaleinsatz auf die Teilprozesse der Prozesskostenrechnung verteilt. Sofern dieser Verteilungsschlüssel nicht gewählt werden kann, sind andere oder sogar mehrere Verteilungsschlüssel anzusetzen.
Ergebnis dieses Planungsschrittes sind die geplanten Kosten je Teilprozess. Häufig ist es sinnvoll, die Kosten leistungsmengenneutraler Teilprozesse auf die lmi-Prozesse zu verrechnen. Dies erfolgt proportional zu den bereits umgelegten Kosten, also in der Regel anhand der Mitarbeiterbeanspruchung durch die lmi-Prozesse.
Durch Division der Planprozesskosten durch die entsprechende Maßgröße erhält man die Prozesskosten für den einmaligen Durchlauf des Prozesses.
Abb. 3: Die Berechnung der Prozesskosten
Die nach Prozessen gegliederte Kostenstellenrechnung weist somit neben der Planprozessmengen und den Plankosten je Teilprozess Prozesskostensätze der einmaligen Prozessabwicklung. Umlageplätze der lmn-Prozesse und Gesamtprozesskostensätze für die lmi-Prozesse aus.
Praxis-Beispiel
Eine traditionelle Kostenartenrechnung innerhalb des Kostenplans: Kostenstelle Versand
Kostenart | geplante Kosten |
---|---|
Personalkosten | 60.000 EUR |
Miete | 10.000 EUR |
Telefon | 3.950 EUR |
kalk. Abschreibungen | 6.000 EUR |
primäre Gemeinkosten | 113.950 EUR |
Kostenstellenkosten | 117.950 EUR |
Nach Umgliederung der Kosten auf die Teilprozesse der Kostenstellen innerhalb der Prozesskostenrechnung ergibt sich z. B. folgender teilprozessorientierter Kostenstellenplan:
Praxis-Beispiel
Kostenstelle: Versand:
Praxis-Beispiel Kostenstelle: Versand:
|
Die Teilprozesse der verschiedenen Kostenstellen werden in der Regel in der Prozesskostenrechnung zu wenigen kostenstellenübergreifenden Hauptprozessen verdichtet. Dabei ist es auch möglich, dass Teilprozesse nur anteilig in einen Hauptprozess eingehen. Die Hauptprozesse und deren Cost Driver charakterisieren die gesamtunternehmerischen Bestimmungsgrößen, die letztlich für das Kostenvolumen der indirekten Bereiche verantwortlich sind. So werden z. B. die gesamten Kosten, die die Bearbeitung eines Kundenauftrags über das ganze Unternehmen hin verursacht, sichtbar gemacht. Diese Kosten sind erkennbar, wenn alle Prozesskosten der Teilprozesse auf Kostenpools der entsprechenden Hauptprozesse verrechnet werden. Die so ermittelten Hauptprozesskosten dienen als Grundlage für eine prozessorientierte Kalkulation.
Praxis-Beispiel
Hauptprozesskosten – Bearbeitung – Kundenauftrag – Ausland:
Teilprozess | Gesamtprozess-Kostensatz EUR/Bearbeitung | Kostenstelle |
---|---|---|
Auftrageingang bearbeiten | 8,84 | Vertrieb |
Fertigmeldungen bearbeiten | 9,44 | Versand |
Produkt lagern | 10,25 | Fertigwarenlager |
Lieferschein erstellen | 7,07 | Versand |
Zollpapiere erstellen | 18,57 | Versand |
Spediteur beauftragen | 2,36 | Versand |
Ware übergeben | 5,72 | Fertigwarenlager |
Hauptprozesskostensatz | 62,25 |
2.3 Prozessorientierte Kalkulation
Gemäß dem kostenstellenübergreifenden Ansatz bei der Bildung der Prozesskostensätze löst sich die prozessorientierte Kalkulation ebenfalls von der Kostenstelleneinteilung. Sie verrechnet die Gemeinkosten, deren Prozessleistung sich direkt auf das Produkt bezieht, über die ermittelten Hauptprozesskosten je Einheit auf das Produkt. Dieser Teil der Prozesskostenrechnung ergänzt somit die traditionelle Kalkulation. Die Verrechnung der Kosten der direkten Leistungsbereiche wird in der üblichen Weise vorgenommen. Ergänzt wird dann die Zurechnung der indirekten Leistungsbereiche über die Prozesskostensätze. Die Kosten von Prozessen, die nicht direkt auf das Produkt bezogen werden können, wie z. B. Betreuung von Kunden, Lieferantenpflege etc., gehen in die Restgemeinkosten ein, die über eine Deckungsbeitragsrechnung abgedeckt werden können.
Durch die prozessorientierte Verrechnung der Gemeinkosten in der Prozesskostenrechnung werden folgende Effekte erzielt:
- Die prozessorientierte Kalkulation löst sich von den traditionellen wertorientierten Zuschlagbasen und rechnet die Gemeinkosten der indirekten Bereiche entsprechend der Ressourcenbeanspruchung auf die Kostenträger der Rechnung zu.
- Die Komplexität der Produkte wird berücksichtigt, indem Produkten mit großem Variantenreichtum und hoher Komplexität die hierdurch entstehenden Kosten in den indirekten Bereichen auch zugerechnet werden. Als Beispiel sei die Materialbeschaffung genannt.
- Der Degressionseffekt wird berücksichtigt, weil z. B. bei steigendem Absatz und einhergehender Materialbeschaffung in größeren Bestellmengen den Produkten die Materialbeschaffungskosten entsprechend ihrer Ressourceninanspruchnahme und nicht über einen Wertzuschlag zugerechnet werden.
Praxis-Beispiel
Kalkulation der Herstellkosten für einen Auftrag mit unterschiedlichen Losgrößen:
Auftragsmenge | 10 Wellen | 5 Wellen |
---|---|---|
(EUR) | (EUR) | |
Beschaffungskosten 1 Bestellung | 25,10 | 25,10 |
Materialkosten | 325,10 | 325,10 |
Bearbeitung (Maschinenstunden) | 320,00 | 160,00 |
Produktionssteuerung 1 Auftrag | 130,00 | 130,00 |
Produktabnahme | 80,00 | 40,00 |
Kundenauftrag Ausland bearbeiten | 62,25 | 625,25 |
Fertigungskosten | 592,25 | 392,25 |
Herstellkosten EUR | 917,35 | 567,35 |
Herstellkosten EUR pro Stück | 91,74 | 113,47 |
2.4 Planung und Steuerung mit Prozesskosten
Das Kostenmanagement mit Prozesskosten vollzieht sich auf drei Ebenen. Zunächst werden bei der Einführung im Rahmen der Tätigkeitsanalyse Unwirtschaftlichkeiten sichtbar, die ein Einsparungspotenzial darstellen.
Im laufenden Einsatz hilft die Prozesskostenrechnung, die Gemeinkosten mengenorientiert, d. h. Prozessmenge x Prozesskostensatz, zu planen. Bei der Gegenüberstellung der Soll- und Istmengen werden Unterauslastungen sichtbar, die in der nächsten Planung korrigiert werden können. Sind die Cost Driver bekannt, können deren Kosteneinflüsse kritisch durchleuchtet und Maßnahmen eingeleitet werden.
Die Betrachtung im Soll-Ist-Vergleich kann sowohl auf Hauptprozessebene als auch auf Kostenstellenebene erfolgen. Es ist jedoch zu beachten, dass Abweichungen aufgrund des Vollkostencharakters der Prozesskostenrechnung lediglich eine Differenz zwischen geplanter und angefallener Arbeitsmenge widerspiegeln. Bei rückläufigen Prozessmengen haben Abweichungen den Charakter von Leerkosten. Die Kapazitäten lassen sich zwar grundsätzlich nur langfristig anpassen, doch liefern diese Informationen Erkenntnisse über Anpassungspotenziale oder Kapazitätsengpässe.
Abb. 4: Arbeitsschritte der Prozesskostenrechnung