Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs beschlossen
Rechtsanwalt David Geßner im Lexware Office Interview: »Existenzbedrohende Vertragsstrafen werden endlich eingedämmt«
Inhaltsverzeichnis
Der Missbrauch von Abmahnungen schadet dem Wettbewerb und vor allem Selbstständigen und kleinen und mittleren Unternehmen. Durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs wird seit dem 1. Dezember 2020 diesem Geschäftsmodell die Grundlage entzogen. Es enthält eine Reihe aufeinander abgestimmter Maßnahmen zur Verhinderung eines Missbrauchs des bewährten Abmahnrechts sowie zur Verbesserung der Transparenz bei wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen. Wir sprachen mit dem auf Medienrecht spezialisierten Rechtsanwalt David Geßner über das noch neue Gesetz und seine Auswirkungen.
David Geßner
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
»Mein Name ist David Geßner. Ich bin Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht sowie Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz aus Berlin.
In unserer mittelständischen Wirtschaftsrechtskanzlei in Berlin Mitte leite ich das Dezernat Medienrecht und Gewerblicher Rechtsschutz. Im Bereich des Medienrechts vertrete ich Unternehmen, Verbände, Vereine, Behörden, Personen des öffentlichen Lebens und Privatpersonen, wenn diese durch die Medien (z.B. Zeitung, Fernsehen) oder durch Dritte im Internet in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt wurden. Neben dem Vorgehen gegen Medienhäuser liegt hier ein wichtiger Schwerpunkt im Bereich der negativen Bewertungen: Zahlreiche Unternehmen und Ärzte haben seit Jahren hiermit zu kämpfen.«
Carola Heine: Lieber Herr Geßner, wir sind online mit Ihnen bekannt gemacht worden, weil Sie sich einen Namen als Experte für Urheber- und Medienrecht gemacht haben. Ärzte haben Sie schon erwähnt. Wen vertritt Ihre Berliner Kanzlei denn noch?
David Geßner: Im Bereich des Urheberrechts vertreten wir Verlage, Künstler, Labels, Produktionsfirmen und sonstige Kreative – aber auch Unternehmen außerhalb des Kreativbereichs, welche urheberrechtliche Fragen haben.
Weitere Schwerpunkte unseres Dezernates stellen das Markenrecht und das Wettbewerbsrecht dar. Zu unseren bundesweiten Mandanten gehören hier vor allem kleinere und mittelständische Unternehmen, aber auch international agierende Unternehmen, für welche wir Markenrecherchen, Markenanmeldungen, Markenüberwachungen sowie die Vertretung bei markenrechtlichen Auseinandersetzungen übernehmen.
Im Wettbewerbsrecht betreuen wir regelmäßig Werbekampagnen und vertreten sowohl aktiv als auch passiv bei wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzungen wegen des Vorwurfs unlauteren Wettbewerbs.«
»Leidtragende waren oft redliche und/oder unerfahrene Onlinehändler.«
Carola Heine: Das neue Gesetz soll vor allem Selbstständige sowie kleinere und mittlere Unternehmen vor den Folgen von missbräuchlichen Abmahnungen schützen. Muss jetzt also endlich kein kleiner Website-Betreiber mehr Angst davon haben, dass durch eine Abmahnung astronomisch hohe Summen eingefordert werden?
David Geßner: Das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs ist definitiv ein wichtiger und richtiger Schritt gegen wettbewerbsrechtliche Massenabmahnungen. Leider konnten wir in der Praxis der letzten Jahre beobachten, dass selbst Anwälte aus anderen Fachrichtungen durch Massenabmahnungen wegen einfacher, leicht nachzuweisender Wettbewerbsverstöße versuchten, auf einfache Art und Weise Gewinne zu erzielen.
Leidtragende waren oft redliche und/oder unerfahrene Onlinehändler, welche sich auf ihr Geschäft konzentrierten und dabei vergaßen, Verbraucherinformationspflichten und Kennzeichnungspflichten sauber zu erfüllen.
Nach Abgabe einer Unterlassungserklärung ohne Hinzuziehung eines Anwalts wurde dann nicht selten versäumt, rechtwidrige Inhalte zu löschen oder Rechtstexte richtig abzuändern, so dass existenzbedrohende Vertragsstrafen die Folge waren. Das wurde nun endlich eingedämmt, indem bei einfachen Informations- Kennzeichnungsverstößen keine Abmahngebühren zu erstatten sind, wenn ein Mitbewerber abgemahnt hat und zudem bei einer ersten Abmahnung auch keine Vertragsstrafe zu zahlen ist, wenn es sich um solche einfachen Wettbewerbsverstöße handelt und der Abgemahnte in der Regel unter 100 Mitarbeiter hat.
Carola Heine: Die Kleinen profitieren also am meisten von dem Gesetz?
David Geßner: Genau. Solche Unternehmen mit unter 100 Mitarbeitern wurden in der Vergangenheit am Häufigsten abgemahnt, so dass diese von der Reform des UWG am meisten profitieren. Zudem dürfen Vertragsstrafen eine Höhe von 1.000 Euro nicht überschreiten, wenn die Zuwiderhandlung angesichts ihrer Art, ihres Ausmaßes und ihrer Folgen die Interessen von Verbrauchern, Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern in nur unerheblichem Maße beeinträchtigt und wenn der Abgemahnte in der Regel weniger als 100 Mitarbeiter beschäftigt.
Zudem sieht das UWG nun auch vor, dass unverhältnismäßig hohe Vertragsstrafen, die aus Unwissen des Abgemahnten vereinbart wurden, nicht mehr bindend sind. Vielmehr wird jetzt nur noch eine Vertragsstrafe in angemessener Höhe geschuldet. Was angemessen ist, haben dann im Einzelfall die Gerichte zu entscheiden.
Carola Heine: Finden Sie das gut so oder hätten Sie sich noch andere Massnahmen gewünscht?
David Geßner: Das Problem der neuen Vertragsstrafenregelungen wird nun sein, dass man wegen oben genannter Verstöße nur noch schwerlich wirksam abmahnen kann. Ohne eine strafbewehrte Unterlassungserklärung besteht weiterhin Wiederholungsgefahr, da nur eine strafbewehrte Unterlassungserklärung die Wiederholungsgefahr einer Rechtsverletzung beseitigt. Ohne Vertragsstrafenregelung ist dies nicht möglich.
Es bleibt abzuwarten, wie die Gerichte damit umgehen werden.
Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs
»Das Gesetz enthält zum einen Maßnahmen zur Verhinderung des Abmahnmissbrauchs. Dies betrifft insbesondere folgende Kernpunkte:
Finanzielle Anreize für Abmahner verringern
Abmahnungen sollen zu einem rechtstreuen Wettbewerb beitragen und nicht zur Generierung von Anwaltsgebühren und Vertragsstrafen missbraucht werden. Die Verringerung finanzieller Anreize ist daher ein wirksames Mittel, um missbräuchliche Abmahnungen einzudämmen. Zu diesem Zweck sollen Mitbewerber bei Verstößen gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten im Internet oder bei Verstößen von Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern gegen Datenschutzrecht kein Anspruch auf Kostenerstattung für die Abmahnung erhalten. In diesen Fällen wird bei einer erstmaligen Abmahnung auch die Höhe einer Vertragsstrafe begrenzt.
Voraussetzungen für die Anspruchsbefugnis der Abmahner erhöhen
Wettbewerbsverhältnisse sollen nicht bewusst geschaffen werden, um Einnahmen durch Abmahnungen zu ermöglichen. Mitbewerber können Unterlassungsansprüche daher in Zukunft nur noch geltend machen, wenn sie in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich Waren oder Dienstleistungen vertreiben oder nachfragen. Online-Shops mit Fantasieangeboten werden damit ebenso ausgeschlossen wie Mitbewerber, die bereits insolvent sind und gar nicht mehr am Wettbewerb teilnehmen.
Auch unseriösen Wirtschaftsverbänden, die zur Erzielung von Einnahmen aus Abmahnungen gegründet werden, wird die Geschäftsgrundlage entzogen. Anspruchsberechtigt sind nur noch Wirtschaftsverbände, die sich – nach Erfüllung bestimmter Anforderungen – auf einer Liste qualifizierter Wirtschaftsverbände eintragen lassen. Die Erfüllung der Anforderungen durch die Wirtschaftsverbände wird durch das Bundesamt für Justiz regelmäßig überprüft.
Gegenansprüche des Abgemahnten erleichtern
Die Betroffenen können missbräuchliche Abmahnungen in Zukunft durch die Schaffung mehrerer Regelbeispiele für missbräuchliche Abmahnungen leichter darlegen. Hierzu zählt die massenhafte Versendung von Abmahnungen durch Mitbewerber genauso wie Fälle, in denen eine offensichtlich überhöhte Vertragsstrafe verlangt wird oder Mitbewerber einen unangemessen hohen Gegenstandswert ansetzen. Wer zu Unrecht abgemahnt wird, erhält außerdem einen Gegenanspruch auf Ersatz der Kosten für die erforderliche Rechtsverteidigung. Abmahner müssen die Berechtigung einer Abmahnung daher in jedem Einzelfall sorgfältig prüfen, um finanzielle Risiken zu vermeiden.
Wahl des Gerichtsstands einschränken
Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (sog. fliegender Gerichtsstand) ermöglicht dem Kläger bei nicht ortsgebundenen Rechtsverletzungen, sich das für sie passende Gericht auszusuchen. In Zukunft gilt bei Rechtsverletzungen im Internet und im elektronischen Geschäftsverkehr einheitlich der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten (des zuvor Abgemahnten).«
Quelle: Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
Carola Heine: Ganz abgeschafft wird diese Möglichkeit ja nicht. Gibt es denn immer noch Fälle, in denen sich beispielsweise Blogger oder Instagram-„Influencer“ um einen Rechtsstreit sorgen müssen?
»Abmahnungen wird es weiterhin geben – aber die Höhe wird nun besser reguliert.«
David Geßner: Abmahnungen und die Gefahr von Vertragsstrafen wird es auch weiterhin geben. Insbesondere Influencer begehen ja nicht selten nur Verstöße gegen Kennzeichnungspflichten, sondern werben des Öfteren irreführend durch bestimmte werbliche Aussagen über Produkte oder Dienstleistungen.
Werbung rechtlich sauber zu gestalten, das ist nicht leicht. Abmahnungen wegen irreführender Werbung wird es daher weiterhin geben und Abmahngebühren werden dann weiterhin erstattungsfähig sein. Auch gibt es sowohl für Blogger und Influencer als auch für andere Unternehmen noch zahlreiche Konstellationen, in den unlautere Werbung zu Vertragsstrafen führen kann.
Wichtig ist jedoch, dass deren Höhe nun besser reguliert ist und man nicht sofort um seine Existenz fürchten muss.
Carola Heine: Bei vielen der Angelegenheiten, um die es in diesem Gesetz geht, sollte man eigentlich meinen, dass gesunder Menschenverstand gebietet, sie einfach zu lassen:
Qualitätssiegel einsetzen, die man nicht erhalten hat oder ein Call-to-Action an Kinder, für das gekaufte Produkt Werbung zu machen – oder wenn eine vorgeschlagene Unterlassungsverpflichtung in der Höhe weit über die abgemahnte Rechtsverletzung hinausgeht. So etwas kommt ja scheinbar häufig vor.
David Geßner: Leider werden viele Verstöße außerhalb von Informations- und Kennzeichnungspflichten bewusst begangen.
Dies kann viele Gründe haben. Ein sehr häufiger Verstoß, der in meiner anwaltlichen Beratungspraxis immer wieder vorkommt, ist der Verstoß gegen die Health Claims Verordnung. Hier darf ich nur in sehr engen Grenzen gesundheitsbezogene Angaben machen. Viele Mitbewerber lassen sich aufgrund des hohen Wettbewerbsdrucks innerhalb des Onlinehandels dazu hinreißen, unlauter zu werben, um im Wettbewerb bestehen zu können.
Natürlich kommt es ebenso oft vor, dass abgemahnte Unternehmen arglos sind und Werbekampagnen und werbliche Aussagen nicht haben prüfen lassen. Unterlassungsansprüche sind jedoch verschuldensunabhängig, so dass Unwissenheit nicht schützt.
Die meisten Abmahnungen, die uns zur Bearbeitung vorliegen, basieren auf fehlerhaften Kennzeichnungspflichten, insbesondere im Bereich der Lebensmittelwerbung. Hier warten viele Fallstricke auf werbende Unternehmen.
Ich empfehle daher grundsätzlich jedem Unternehmen, vor Platzierung eines Produktes oder einer Dienstleistung im geschäftlichen Verkehr einen auf das Wettbewerbsrecht spezialisierten Rechtsanwalt hinzuzuziehen, um Verstöße zu vermeiden.
Carola Heine: Vielen Dank für die interessanten Einblicke und Ihre Zeit – weiter viel Erfolg und vor allem Gesundheit in diesen stürmischen Zeiten!
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