Betriebliche Übung
Inhaltsverzeichnis
Definition: Was ist eine betriebliche Übung?
Gewähren Arbeitgeber:innen wiederholt ihren Mitarbeitenden freiwillige Leistungen, spricht man dabei von einer betrieblichen Übung. Daraus können sich künftige Ansprüche für die Arbeitgeber:innen, zum Beispiel in Bezug auf zusätzliche Leistungen oder Vergünstigungen, ergeben.
Es gibt viele Bereiche, in denen die betriebliche Übung geltend gemacht werden kann. Klassische Beispiele sind:
- Betriebsrente
- Vermögenswirksame Leistungen
- Urlaubs- und Weihnachtsgeld
- Prämien
- Urlaubsregelung, z.B. in Bezug auf Anmeldung, Gewährung etc.
- Regelung im Krankheitsfall
- Pausenregelung, z.B. in Bezug auf Häufigkeit und Dauer
Eine betriebliche Übung gilt theoretisch auch für das Homeoffice. Haben Mitarbeiter:innen jedoch ohne Vereinbarung während der Corona-Pandemie im Homeoffice gearbeitet, reicht das nicht für eine betriebliche Übung aus.
Wie entsteht eine betriebliche Übung?
Eine betriebliche Übung entsteht bei Leistungen, die weder vertraglich vereinbart noch vorgeschrieben sind. Ein:e Arbeitgeber:in führt ein bestimmtes Verhalten wiederholt fort und wird somit stillschweigend ein Teil des Arbeitsvertrags der Mitarbeiter:innen.
Wichtig ist, wie die Arbeitnehmer:innen als Erklärungsempfänger:innen das Verhalten des:der Arbeitgeber:in nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung sämtlicher Begleitumstände verstehen durften.
Voraussetzungen für eine betriebliche Übung
Damit Arbeitnehmer:innen eine betriebliche Übung annehmen können, muss der:die Arbeitgeber:in sie kenntlich machen. Das kann zum Beispiel durch einen Anschlag am Schwarzen Brett oder durch ein Rundschreiben an alle Arbeitnehmer:innen. So können zusätzliche Leistungen oder sonstige Vertragsveränderungen (zum Vorteil der Arbeitnehmer:innenschaft) angekündigt werden.
Es ist reicht, wenn der:die Arbeitgeber:in bewusst bestimmte Leistungen erbringt und so Arbeitnehmer:innen darauf vertrauen. Das zählt auch für neue Mitarbeiter:innen.
Ein Vertrauenstatbestand gilt grundsätzlich nur dann, wenn der:die Arbeitgeber:in mindestens dreimal beispielsweise eine Gratifikation vorbehaltlos gewährt hat. Das bedeutet, dass im vierten Jahr die Mitarbeiter:innen praktisch einen Anspruch auf die Fortführung der Leistung haben.
Wichtig: Angenommen, ein:e Arbeitgeber:in denkt irrtümlich zu einer Leistung verpflichtet zu sein und zahlt deshalb über mehrere Jahre hinweg eine zusätzliche Leistung. Erkennen die Arbeitnehmer:innen, dass der:die Arbeitgeber:in sich nur normgemäß verhalten will, so entsteht kein Anspruch für die Zukunft.
Wann wird das Weihnachtsgeld zu einer betrieblichen Übung?
Auch hier gilt, dass die betriebliche Übung nach drei Jahren, in welchen Arbeitgeber:innen Weihnachtsgeld gewähren, entsteht. Sie rückgängig zu machen, geht nur sehr schwer. Wurde im Vorhinein ein Freiwilligkeitsvorbehalt beschlossen, kann eine betriebliche Übung verhindert werden.
Kündigung einer betrieblichen Übung
Einvernehmliche Beendigung: Die einfachste und rechtlich sicherste Art, eine Betriebsübung zu beenden, ist die einvernehmliche Beendigung. Dabei einigen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer darauf, die bisherige Praxis zu ändern. Dies kann zum Beispiel durch eine schriftliche Vereinbarung oder einen Nachtrag zum Arbeitsvertrag geschehen.
Änderungskündigung: Ist eine einvernehmliche Lösung nicht möglich, kann der Arbeitgeber eine Änderungskündigung aussprechen. Dabei wird das bestehende Arbeitsverhältnis gekündigt und gleichzeitig ein neues Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen angeboten. Der Arbeitnehmer kann dann entscheiden, ob er das neue Angebot annimmt oder nicht. Lehnt der Arbeitnehmer das Angebot ab, endet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Kündigungsfrist.
Widerruf: Einige Leistungen, die durch betriebliche Übung entstanden sind, können vom Arbeitgeber unter bestimmten Umständen widerrufen werden. Dazu muss der Arbeitgeber jedoch vorher deutlich machen, dass die betreffende Leistung jederzeit widerrufen werden kann. Ein solcher Widerruf ist jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen und unter Einhaltung von Fristen möglich.
Rechtsfolgen
Aufgrund einer Willenserklärung, die von den Arbeitnehmer:innen stillschweigend angenommen wird, erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Vergünstigungen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der:die Arbeitgeber:in mit Verpflichtungswillen gehandelt hat oder nicht.
Für die Bindungswirkung der betrieblichen Übung entscheidend ist vielmehr die Frage, wie die Arbeitnehmer:innen die Erklärung oder das Verhalten des:der Arbeitgeber:in nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände verstehen durften.
Wie kann die Entstehung von Ansprüchen verhindert werden? Die doppelte Schriftformklausel
Ferner können sog. Schriftformklauseln das Entstehen einer betrieblichen Übung verhindern. Eine einfache Schriftformklausel, nach der Änderungen und Ergänzungen des Vertrags der Schriftform bedürfen, verhindert allerdings nicht, dass eine betriebliche Übung entsteht.
Die Vertragsparteien können das für eine Vertragsänderung vereinbarte Schriftformerfordernis jederzeit schlüssig und formlos aufheben. Ein vereinbartes Schriftformerfordernis kann deshalb auch durch eine formfreie betriebliche Übung abbedungen werden.
Bei einer Schriftformklausel, die nicht nur für Vertragsänderungen die Schriftform vorschreibt, sondern auch Änderungen der Schriftformklausel ihrerseits der Schriftform unterstellt (doppelte Schriftformklausel), ist dies nicht möglich. Die doppelte Schriftformklausel kann daher grundsätzlich verhindern, dass eine betriebliche Übung entsteht. Voraussetzung ist allerdings, dass die doppelte Schriftformklausel konstitutiv ist und der AGB-Kontrolle standhält.
Gegenläufige betriebliche Übung?
Ist bereits ein Anspruch aus betrieblicher Übung entstanden, gilt: Bisher ging das BAG davon aus, dass eine betriebliche Übung wieder abgeschafft werden kann, wenn der:die Arbeitgeber:in sich über einen längeren Zeitraum hinweg entgegen der bisherigen Übung verhält und die Arbeitnehmer:innen dies widerspruchslos hinnehmen. Diese Rechtsprechung hat das BAG zwischenzeitlich aufgegeben.
Erklärt ein:e Arbeitgeber:in unmissverständlich, dass die bisherige betriebliche Übung einer vorbehaltlosen Leistung beendet wird und durch eine Leistung ersetzt werden soll, auf die in Zukunft kein Rechtsanspruch mehr besteht, kann nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts am 1.1.2002 nach § 308 Nr. 5 BGB eine dreimalige widerspruchslose Entgegennahme der Zahlung durch den:der Arbeitnehmer:in nicht mehr den Verlust des Anspruchs auf die Leistung bewirken.
Das Schweigen der Arbeitnehmer:innen gilt nicht mehr als fingierte Willenserklärung zur Begründung einer gegenläufigen betrieblichen Übung. Das BAG hat jedoch gleichzeitig betont, dass für sog. Altfälle Besonderheiten gelten. Dies betreffe Arbeitsverhältnisse, die vor dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 1.1.2001 begründet wurden, wobei der Arbeitsvertrag im Vertrauen auf die damals geltende Gesetzeslage und die nicht den Wirkungen des AGB-Rechts unterworfene Rechtsprechung abgeschlossen worden sein muss.
Für die Parteien darf zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine Veranlassung bestanden haben, Vereinbarungen zu treffen, die einer Inhaltskontrolle nach den §§ 305ff. BGB standhalten. Für sog. Altfälle besteht danach je nach Einzelfall weiterhin die Möglichkeit einer gegenläufigen betrieblichen Übung.
Einen nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung entstandenen Anspruch des:der Arbeitnehmer:in kann der:die Arbeitgeber:in nur noch durch Änderungskündigung oder eine entsprechende Vereinbarung mit dem:der Arbeitnehmer:in unter Vorbehalt stellen, verschlechtern oder beseitigen. Der:die Arbeitgeber:in kann den Anspruch des:der Arbeitnehmer:in nicht unter erleichterten Voraussetzungen zu Fall bringen.
Leistung unter Vorbehalt gewähren – Die betriebliche Übung verhindern
Will der:die Arbeitgeber:in verhindern, dass aus der Stetigkeit seines Verhaltens ein Anspruch aus betrieblicher Übung entsteht, muss er:sie jeweils bei der Gewährung zusätzlicher Leistungen oder Vergünstigungen einen entsprechenden Vorbehalt erklären, etwa in der Weise, dass die Leistung oder Vergünstigung freiwillig erfolgt und daraus kein Rechtsanspruch für die Zukunft hergeleitet werden kann.
In welcher Form dies geschieht, etwa durch Aushang oder Rundschreiben oder durch Erklärung gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer:innen, ist nicht entscheidend. Erforderlich ist nur, dass der Vorbehalt vor Eintritt einer betrieblichen Übung klar und unmissverständlich kundgetan wird.
Eine Kombination aus Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt in einem Arbeitsvertrag ist nicht ausreichend, da für den Arbeitnehmer:innen nicht hinreichend deutlich wird, dass trotz mehrfacher, ohne weitere Vorbehalte erfolgender Sonderzahlungen ein Rechtsbindungswille des:der Arbeitgeber:in für die Zukunft ausgeschlossen bleiben soll.
Das BAG hat für die Formulierung eines Vorbehaltes Ausdrücke wie „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ oder „kein Rechtsanspruch für die Zukunft“ empfohlen. Aufgrund der vorzunehmenden AGB-Kontrolle muss der Vorbehalt klar und verständlich formuliert sein.
Will der:die Arbeitgeber:in verhindern, dass aus der bereits bestehenden betrieblichen Handhabung eine Bindung auch gegenüber neu eingestellten Arbeitnehmer:innen eintritt, z. B. in Form des Anspruchs auf eine Weihnachtsgratifikation, muss er die betriebliche Übung explizit ausschließen.